KUNST/MITTE Notes

Das Web-Magazin für Kunst und Kultur in Mitteldeutschland.

Von bewegenden Fotos und bewegten Skulpturen 2/2

14.02.2020, Wolfgang Krebs

Ein Gefühlsprotokoll über zu kurze, lange Nächte. Mit dem kläglichen Versuch, ein Ballett zu beschreiben, ohne tanzen zu können.

Magdeburg, die Lange Nacht der Fotografie. Ein üppiges Programm wurde angekündigt. Mich lockte die Hommage an Oskar Schlemmer: das „Geometrische Ballett“, die Möglichkeit, die Ausstellung „Moderne. Ikonografie. Fotografie“ endlich zu sehen, ein Grund mehr, in die kalte, dunkle Nacht zu gehen. […Was bisher geschah… Teil 1]  

Es ist an der Zeit, mich mit Josefine zur Kirche zu begeben, um noch einen guten Platz bei der Vorstellung des „Geometrischen Balletts“ von Ursula Sax zu besetzen.

Wie sich während der Vorstellung zeigte, gab es keine guten Plätze. Bis auf die erste Reihe saß der geneigte Zuschauer eher unvorteilhaft. Die Stühle waren nicht auf Lücke gestellt und die Bühne leider zu niedrig, um auch die Aktionen, welche nahe am Boden zelebriert wurden, wirklich zu genießen. Schade. Nichtsdestotrotz erlebte ich etwas Wunderbares. In zwei Teilen zu je dreißig Minuten mit einer Pause von dreißig Minuten konnten einige meiner Sinne jubeln. Was wurde präsentiert? Farbiges Licht auf sich bewegenden Skulpturen. Dazu ein Drummer, der perfekt auf einem großen Drummset spielte. Genau dosiert zu den sphärischen Klängen aus der Konserve.

Die Choreografie ließ Licht, Klang, Bewegung, Skulpturen – besser skulpturenartige Kostüme – zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen. Bildhauerei bildet die Basis des Bühnenstücks.

Verzaubernde Luftkleider, Körpermasken und Körperpappen verknüpft mit der Bauhausgeschichte präsentiert im künstlerischen und theaterwirksamen Zusammenhang.

Ohne ein Libretto ist die Gattungsüberschreitung von Skulptur, Performance, Tanz, Theater und Musik Merkmal der Arbeit von Ursula Sax (geb. 1935). Sie zählt zu den renommierten Bildenden Künstlern.

Es begann eher grau und statisch. Die Tanzskulpturen, geometrischen Körperpappen schränken die Bewegung des Darstellers ein. Im Zusammenspiel von Körper und dem schlichten Material von steifer Pappe verschmelzen sie zu einer Einheit und formen neue Bilder – bewegliche Skulpturen. Kreis, Dreieck, Quadrat wenig Bewegung im Raum, viel Bewegung im Körper. Es steigerte sich.

Luftkleider funktionieren mit einer genähten, skulpturalen Stoffhülle, dem Körper des Darstellers und der Luft als bildhauerischem Element. Durch die Bewegung des Tänzers wird die Luft kanalisiert wie bei einem Blasebalg, so dass Teilformen sich aufrichten, die eben noch schlaff herunterhingen, um dann wieder zusammenzufallen. Synergien zwischen Tänzer und Material werden freigesetzt, benutzt und bestimmt.

Zur Zäsur wurde die Nummer, welche mich an den Versuch von Komik im Puppentheater erinnerte. Eine Wand aus Gewebe ähnlich einem Futterstoff mit einer Art nebeneinander angeordneten Ärmeln und eingeschränktem Bewegungsradius illustrierte die abstrakten vokalen Geräusche, welche einem Lautgedicht von Hugo Ball nicht unähnlich schienen. Oder illustrierte der Darsteller mit seinen Tönen die Bewegungen der Ärmel?

Nach der Pause, von der ein Großteil der Besucher nicht wusste, dass es eine Pause vor dem zweitem Teil ist, sondern es für die Pause vor der Wiederholung des soeben Gesehenen hielten, wurde es bunter, Figuren wie aus einem abstrakten Bauhaus-Schachspiel brachten mehr Bewegung, Dramatik und Esprit auf die Bühne.

Körpermasken aus schwerem Filz genäht und doch lassen sie genug Platz für den tänzerischen Ausdruck. Mal Behausung, dann Schutzkleid oder Panzer, auch abstrakte Form waren meine Deutungen dazu. Nachfolgend sehe ich assoziative Bilder, eine Gestalt wie ein Ritter, eine Steinplatte auf einem Grab wird der Odem des Lebens eingehaucht, um dann zum japanischen Krieger zu werden, einen cholerischen Kleriker regt mich auf. Jeder wird wohl etwas anderes wahrgenommen haben. Es gab einiges zu sehen, viel zu fühlen, vieles, das mich anzupfte oder schubste.

Ein Versuch, dies zu beschreiben, ist vergebens. Eine Beschreibung kann nicht die Sinne so berühren, wie es diese Einheit aus Bewegung, Formen, Licht und Klang tut. Es wäre, als würde ich Ihnen versuchen, den Geschmack einer Erdbeere zu beschreiben, ohne dass Sie je davon gekostet haben. Völlig überflüssig. Darum werde ich hier nur noch erwähnen, wer daran beteiligt war. Fakten dazu können Sie googeln. Für die Inszenierung waren folgende Künstler verantwortlich: Choreografie: Katja Erfurth; Musik: Sascha Mock; Dramaturgie: Isolde Matkey; Gesang und Performance: Annette Jahns Tanz und Performance: Erik Brünner, Katja Erfurth, Helena Fernandino, Jule Oeft, Liang Zhu; Lichtdesign: Ted Meier; Produktionsleitung: Nicole Meier.

Ovationen und Applaus und imaginärer Vorhang.

Alles in allem eine gelungene Veranstaltung. Großes Angebot, nur die musikalische Darbietung im Saal der ständigen Sammlung konnte ich nicht genießen. Die Akustik in diesem Raum eignet sich für ein Streichquartett, jedoch auf keinen Fall für ein Pärchen minderbegabter Sänger und elektronischer Instrumente. Die beiden Musikanten bedauerte ich gar sehr, denn sie konnten nicht nach dreißig Sekunden den Raum verlassen, um den Abend zu genießen. Um ein Uhr war die Nacht noch jung, noch sehr lang, jedoch die Lange Nacht im Kloster am Ende. Was kann ich in Magdeburg um diese Zeit noch unternehmen? Nichts. Nach Hause fahren, sich über das Erlebte freuen und auf die nächste Lange Nacht im Kloster warten.

Alle Fotos: © Wolfgang Krebs 2020

Diese Lange Nacht der Fotografie war am 25. Januar 2020:
Geometrisches Ballett | Hommage à Oskar Schlemmer von Ursula Sax

PS: Abonnieren Sie unseren Newsletter, wenn wir Sie über Kunst und Kultur in Mitteldeutschland auf dem Laufenden halten sollen.

Newsletter

Hinweise auf neue Beiträge und unsere Kulturtipps erhalten Sie nur über unseren Newsletter: