Teil 1: Ein Gefühlsprotokoll über zu kurze, lange Nächte.
Magdeburg, die Lange Nacht der Fotografie. Ein üppiges Programm wurde angekündigt. Mich lockte die Hommage an Oskar Schlemmer: das „Geometrische Ballett“, die Möglichkeit, die Ausstellung „Moderne. Ikonografie. Fotografie“ endlich zu sehen, ein Grund mehr, in die kalte, dunkle Nacht zu gehen. Frühzeitiges Erscheinen sichert einen Parkplatz, dachte ich. Fehlanzeige. Ungeduldig wartete Josefine, meine Tochter, vor dem Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen. Im Besitz von A4-Vorverkaufspostern konnten wir die nach genauer Anweisung gefalteten Ausdrucke gegen ein Bändchen für das Handgelenk eintauschen. Das einzelne Abreißen jedes Bändchens vom Block braucht seine Zeit. Egal. Die Stimmung heiter und entspannt bei den Gästen, gespannt und aufgeregt bei den Machern. Für das leibliche Wohl sorgte eine feine, ausgesuchte Gastronomie mit Preisen aus der Astronomie. Gut besucht präsentierte sich das Kunstmuseum. Von den Bildungsbürgern, die sich zu allen Highlights der Stadt ein Stelldichein geben, Schüler und Studenten, die Gemeinschaft der Fotoclub-Mitglieder, Instagram-Knipser, Fotoproduzenten, welche gern darüber reden oder schreiben, wie sie ihre Art zu knipsen technisch und mental betreiben. Natürlich wird von diesen auch zur Langen Nacht der Fotografie als Fähnchen des Erkennens die Kamera um Hals oder Schulter getragen. Menschen, die mit ihren teuren Kameras Fotos von Fotos in der Ausstellung machten, ohne sich die Originale genauer anzuschauen, waren ebenso häufig zu beobachten wie Menschen, die sich auf die Knie warfen oder sich in andere für den Körper unnatürliche Positionen brachten, um das originellste Foto aus dem originellsten Blickwinkel noch in derselben Nacht auf einer sozialen Plattform mit einem banalem Text versehen, um der Menschheit ihr Machwerk aufzudrängen. Fotografen unter den Gästen konnte ich nicht so viele ausmachen. Die Künstler dieser Gilde sind in Magdeburg ohnehin spärlich gesät. Dafür sah ich fantastische Fotos.
Fotos, die ich aus Büchern oder Zeitschriften kannte, unter anderem von Feininger. Mein Favorit allerdings ist eine Arbeit bestehend aus zwei Bildern. Eines analog und eines digital. Beide im selben Format. Beide nebeneinander im obersten Raum. Beide fotografiert von Gottfried Jäger. Erstellt 1991. Der Titel des Werkes „Lob der Oberfläche – Rot/Rot“. Wäre ich ein Freund von dümmlichen Plattitüden, würde ich jetzt schreiben: „…wie geil ist das denn“ – gut, ich habe es geschrieben… Die Götter und all jene, welche eine gepflegte Sprache schätzen, mögen mir verzeihen und einen feineren von mir gepflegten Duktus als Opfergabe annehmen. Was für eine fantastische, hintergründige, intelligente künstlerische Arbeit. Eine rote Fläche, bar jeder Tiefe und Struktur im satten Rot. Bei näherem Betrachten entdeckte ich auf dem analogen Bild Kleinigkeiten. Flecken, feine Farbabriebe oder Farbfehler, einen wie ich meine, Fingerabdruck konnte ich erahnen. Die digitale Variante der roten Fläche war rein. Nichts, außer reiner roter Fläche, war zu erkennen. In dem Bildpaar geht es um die digitale Imitation des analogen Fotos von der roten Oberfläche. Die digitale Technik ersetzte den identischen roten Farbton durch eine entsprechende Lichtfarbe, ohne das analoge Negativ zu simulieren. Wollte der Künstler damit eine Lanze für die analoge Fotografie brechen? Ich weiß es nicht. Vermutlich nicht, denn dieses Ansinnen würde mich enttäuschen und das Werk in die Banalität entlassen. Letztendlich ist es wirklich nicht wichtig. Wichtig ist, wie sehr mich diese Arbeit berührt, wie sie mich beschäftigt. Noch ein Versuch der Annäherung an das Werk durch den Titel. Der da „Lob der Oberfläche“ lautet. Sicher werde ich noch lange darüber nachdenken. Sicher ist, Knipser fabrizieren Fotos von…, naja, nenne ich sie mal Models in gestellten Posen an mehr oder weniger „besonderen“ Orten und sie nennen es gerne Shooting. Eindrucksvolle, kreative, künstlerische Fotografen oder auch kurz „richtige Fotografen“ können ein Glas Wasser spannend darstellen oder eben mich mit einer roten Fläche beeindrucken, sie berühren mich wie Kasimir Malewitsch es mit seinem schwarzen Quadrat es tut, nur eben anders. Dies war das Offenbarungserlebnis in dieser Ausstellung.
Dieser Abend im Kloster war keine Enttäuschung, sah ich doch zum ersten Mal Originale einiger Ausnahmekünstler, dort hingen unter anderem Werke von Brian Eno, der mit seinen Fotoradierungen meine Neugier auf mehr davon schürte.
Und ich sah spannende Fotos in einer Serie, in der ganz simpel, schlicht und einfach das gemeine Ei zum Topmodel erkoren wurde, Hans Finsler ist der Name des Menschen, welcher diese Idee verwirklichte – das schwarz-weiße Foto eines Hühnereis steht nun in meiner Kathedrale der Erinnerungen.. Und dann war da noch ein Foto, es zog mich schon an, bevor ich es sah, die Magie des Bildes bestimmte scheinbar meinen Weg. Im Raum eine Wand mit nur einem Foto. Ohne zunächst die Bilder an den anderen Wänden zu beachten, querte ich den Raum mit einem Tunnelblick. Stehend im optimalen Abstand zum Bild, diktiert durch die Größe des Werks genoss ich die Leichtigkeit und starke Präsenz. Es zeigt die „Chapel of Notre-Dame-du-Haut“, welche nach Plänen des französisch-schweizerischen Architekten Le Corbusier von 1950 bis 1955 errichtet wurde.
Der Kirchenbau zählt zu den berühmtesten seiner Art in der Moderne. Da schließt sich der Kreis von Le Corbusier zu Hiroshi Sugimoto. Sugimoto, ein Fotograf, welcher mich immer wieder über das Wesen der Fotografie nachdenken lässt. Ein bescheidener Mann, der mich mit seinen Werken seit Jahren zum mentalen Kniefall bringt. In meinem Leben gibt es keine Vorbilder, keinen Fankult, jedoch gibt es Menschen, die ich gerne in meiner geistigen Nähe habe, weil es besondere Gedanken in ihnen gibt oder ihr Wirken mich nicht langweilt. Bei Hiroshi Sugimoto ist es sein künstlerisches Wirken, welches mich dazu bewegt, wieder an die Fotografie zu glauben, wenn ich entmutigt bin durch die unendlich vielen nutzlosen, sinnlosen, wirklich miesen Fotos, die mir auf Publikationen, im Internet und mittlerweile auch in Ausstellungen in die intellektuellen Eier treten und ich lieber Servietten falten möchte, als mich weiter mit Fotografie zu beschäftigen. Dann sehe ich mir die gewaltigen Werke einiger wirklicher Fotokünstler an. Oft die von Sugimoto. Nun hängt da ein Original von Hiroshi Sugimoto ein Gelatin Silver Print in 20 x 24 vor mir – wie schön. Bedauerlich ist, dass es neben dem Durchgang zum nächsten Raum hängt. Ein Begängnis wie auf dem Hauptbahnhof stört den Energiefluss zwischen Bild und mir als Betrachter empfindlich.
Eins von diesen Kunstwerken, das ich mir jeden Tag ansehen möchte, ohne dass es mich langweilt, weil es mir inneren Frieden gibt wie ein Zen-Garten. Sugimotos große Themen sind Wahrheit, Sein und Zeit. Märchenhaft die Serie „Seascapes“ und traumhaft die Serie „Theaters“ und wunderbar die Serie „Opticks“ in Farbe, er ist kein Schwarz-Weiß-Dogmatikern und auch kein ewig Gestriger, der digitale Fotografie für Teufelszeug hält. Zu jeder Idee die passende Technik. Wenn es sein muss, fotografiert er Hochspannungsblitze ohne Kamera. Ja das geht, er liefert den Beweis und ich liebe diese Fotos.
Es ist an der Zeit, mich mit Josefine zur Kirche zu begeben, um noch einen guten Platz bei der Vorstellung des „Geometrischen Balletts“ von Ursula Sax zu besetzen. [Fortsetzung folgt am 14. Februar 2020!]
Moderne.Ikonografie.Fotografie
Das Bauhaus und die Folgen 1919 – 2019
noch bis 9. Februar 2020 im
Kunstmuseum Kloster Unser lieben Frauen Magdeburg
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