Gesichter. So viele Gesichter. Frauen, meist sind es Frauen. Aber auch Männer. Jung. Alt. Egal! Es braucht scheinbar nur ein paar Striche, um sie auf der Leinwand oder auf Papier festzuhalten. Trügerische Einfachheit. Denn diese Gesichter stecken voller Emotionen. Die Menschen, die Meli Kuhn zeichnerisch und malerisch festhält, wirken stets wie in Melancholie versunken. Eine gewisse Sehnsucht gepaart mit Weltschmerz. Das müsse einfach aus ihr heraus, meint die 1981 in Köln geborene Künstlerin, die seit 2001 in Amsterdam lebt. Sie nennt das den inneren Drang, der sie zum Zeichnen und Malen bewegt. Und diesen inneren Drang muss sie bereits früh verspürt haben. „Für mich war schon immer klar, dass ich etwas Kreatives machen möchte. Erst wollte ich das Schauspiel erlernen, habe mich dann aber doch für die Kunst entschieden“, erklärt die Wahl-Niederländerin. Als eine von fünf Töchtern sei sie von ihren Eltern häufig ins Museum, ins Theater, in die Oper und zu Konzerten mitgenommen worden. „Man kann sagen, ich bin mit Kunst großgeworden. In der kleinen Werkstatt meines Vaters haben wir viel gebastelt.“ Überhaupt sei viel Zeit mit kreativen Tätigkeiten verbracht worden.
Das Interesse für Kunst resultierte in einem Studium – Schwerpunkt Zeichnen – an der Akademie der Bildenden Künste in Amsterdam, das Meli Kuhn 2005 mit dem Diplom abschloss. Seitdem ist die 39-Jährige als freie Künstlerin tätig. Die Liebe zum Schauspiel ließ sie jedoch in all der Zeit nicht los und so studierte sie an der „faaam“ (film actors academy amsterdam) und erhielt 2012 ihr Zertifikat als Filmschauspielerin. Ein Jahr später gründete sie das Tanztheater Meli Kuhn, mit dem sie verschiedene Tanz-Film- und Live-Produktionen realisiert. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt jedoch auf der zeichnerischen Arbeit, die sie in ihrem Atelier in Haarlem, westlich der niederländischen Hauptstadt gelegen, umsetzt. Das Atelier beschreibt sie als ruhig, mit viel Licht und hohen Decken. „Am liebsten höre ich klassische Musik oder genieße die Geräusche, die von der Straße zu mir empordringen“, schildert Meli Kuhn. „In meinem geordneten Chaos bin ich am liebsten tätig. Zwar räume ich regelmäßig auf, was zum Arbeiten gut ist, aber dann muss ich mich immer neu orientieren, da ich nichts mehr wiederfinde.“
Die gebürtige Kölnerin mag es ab und an auch gerne, in einer Bar oder einer Kneipe zu sitzen und Zeichnungen anzufertigen. Dort, wo viel geraucht wird und der Rauch unter den Lampenschirmen hängen bleibt – was heute ziemlich selten zu finden ist. „Zwar rauche ich selbst nicht, aber ich mag die Stimmung in solchen Bars und Kneipen. Dort fühle ich mich, wie in ein Theaterstück versetzt, kann Menschen studieren und in dieser besonderen Atmosphäre zeichnen“, erklärt die Künstlerin. „Manchmal sehe ich eine Person oder eine Situation oder ich habe einfach eine Idee und die setze ich dann um. Ich mag es, mich einfach ins Ungewisse zu stürzen und am Ende zu sehen, was herausgekommen ist.“ Weniger glücklich ist Meli Kuhn, wenn sie – aus unterschiedlichen Gründen – nicht kreativ tätig sein kann. „Das ist etwas, das konstant in mir lebt und zum Ausdruck gebracht werden muss. Ich fühle mich schnell unruhig, wenn ein Urlaub zu lange dauert oder ich durch gewisse Umstände zu lange nicht in meinem Atelier arbeiten kann. Meine Kunst ist mein Atem.“
Ein Vorhaben, das die 39-Jährige derzeit beschäftigt, ist ihr „Blinden- Projekt“. „Vor einiger Zeit erhielt ich von einem Antiquariat, dessen Besitzer meine Arbeiten mag, einige Seiten aus einem sehr alten Buch von Louis Braille. Damit bin ich zu einer blinden Frau gegangen, die mir aus diesen Seiten vorgelesen hat. Es handelt sich um Gesangsübungen für eine Mädchenschule aus Frankreich“, erklärt Meli Kuhn. Man könne erst beim näheren Betrachten erkennen, dass das Papier mit Brailleschrift versehen ist. „Das ist ein schöner Nebeneffekt, wie ich finde. Zudem ist es wichtig, dass man die Bilder anfassen, sie mit den Fingern ‚lesen‘ kann.“ Meli Kuhns Plan ist es, die Seiten aus dem Braille-Buch mit Portraits von blinden Menschen zu versehen und diese Arbeiten in ihrem Atelier auszustellen – begleitet vom Gesang der Übungen aus diesem Buch. (Tina Heinz)
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