KUNST/MITTE Notes

Das Web-Magazin für Kunst und Kultur in Mitteldeutschland.

Von Machern und Nörglern

20.12.2019, Wolfgang Krebs
Pressekonferenz anlässlich der Vorentscheidung zu den sich bewerbenden Städten um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025 © Wolfgang Krebs

Im Kubus am Kloster Unser Lieben Frauen am 12.12.19 – öffentliches Gucken. Es gibt eine Live-Übertragung der Vorentscheidung zu den Bewerbungen um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2025. Magdeburg ist noch im Rennen. Frohlocket doch all…wünsche ich. Die triste Realität stellt sich anders dar. Hat es überhaupt jemand bemerkt. Es ist kein Ballspiel, warum also…, hä, worum geht es? Ja, für sowas ham’se Geld, aber… blablabla. Der gemeine Magdeburger – uninteressiert: „Mir doch egal“. Dann die, welche fast alles mies machen: „Was soll der Mist, wird ja doch nichts. Verschwendung!“ und dann die, welche an die Stadt nebst Bewohnern glauben, welche mit einer Laterne durch die Straßen ziehen und Menschen finden, die es wert sind, für sie die Last zu tragen, die, welche die Tragweite dieses Titels erfassen, die nicht aufgeben, weil sie wissen, dass es lange in der Stadt nachwirken könnte. Nach Verklingen des Titels den Status halten und auf lange Sicht der Stadt Nutzen bringen, ist ein Kriterium der Jury. Hastig bewege ich mich durch die Straßen. Gern möchte ich zu den ersten gehören, die die frohe Kunde vernehmen. Allein mir fehlt der Glaube. Der stellt sich auch nicht ein, als ich einen Eingeborenen sehe, auf dessen Jacke ein Aufdruck meine Muttersprache rechthaberisch entstellt; der Name der Stadt, in der ich lebe, ist falsch dargestellt; und ich dann auch noch bewusst mit einem dümmlichen orthografischen Fehler beleidigt werde. Ich lese „Machteburch un nich anners du Vochel“. Auch eine Form von Kultur, denke ich. Mit so viel Lokalpatriotismus wird das sicher was mit der Kulturhauptstadt. Abgehetzt komme ich im Kubus an. Gerade wird die Veranstaltung eröffnet. Es gibt mehr Zuschauer als Stühle. Was für ein Pech. Ein Zeichen dafür, dass die Initiatoren nicht mit so viel Interesse gerechnet haben. Zirka 60 Gäste fand ich allerdings schon etwas wenig. Auf der Leinwand Live-Rede, Applaus, Rede, Applaus, Rede, Applaus und eine unvorsichtige Bemerkung: „Gleich verkünden wir die Gewinner“… Ein hibbeliges Mädchen springt auf, stolpert etwas unentschlossen vor die im Kubus zu Magdeburg wartenden Menschen und motiviert übereifrig mit großer Geste die sitzenden Anwesenden zum Aufstehen. Diese folgen der Aufforderung wie die Lemminge. Unklar der Grund und zu früh, wie sich herausstellte. Nach den vorangegangenen Rednern nämlich reichten mehrere Redner das Mikrofon weiter und weiter und weiter, dreißig lange Minuten, um noch einmal mehr oder weniger spannende Details zur aktuellen Runde im Wettstreit um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2025 zu offenbaren. Ja, so wird Spannung aufgebaut! Wollte ich schon Papiertüten an die Anwesenden verteilen, welche vor Aufregung dem Hyperventilieren sehr nahe kamen, und dies waren nicht wenige. Es mangelte mir an Tüten. Nun wusste ich allerdings Näheres über den harten Job der Jurymitglieder. Was für eine Aufgabe. Acht deutsche Städte buhlen um den begehrten Titel. Bedeutet dieser nicht nur Ruhm und Ehre für die erwählte Stadt, sondern auch ein Batzen Geld in die Geldkatze der Ortschaft. Von acht Städten wurden nun fünf weitergewunken in die nächste Runde. Über Livestream war unser Oberbürgermeister Dr. Trümper mit seinem Team zu sehen. Bescheiden besetzten sie die letzte Reihe im Auditorium. Clever, dachte ich mir, eine gute Ausgangsposition, um schnell unbemerkt den Saal zu verlassen, sollte die Wahl nicht so laufen wie erhofft und ein langer, stolzer Marsch des Triumphes bis zur Bühne im Falle das Unwahrscheinliche, jedoch heiß Ersehnte tritt ein. Der Pessimist in mir glaubte nicht daran, doch tief in mir drin unkte doch die Hoffnung, Pandoras mieses Mitbringsel. Auch wünschte ich mir einen guten Ausgang für die Menschen, die so viel Energie, Phantasie, Enthusiasmus in dieses Projekt brachten. Es ist nicht einfach, Visionen zu erkennen. Schwierig wird es, Visionen umzusetzen. Blood, Sweat & Tears ist keine übertriebene Floskel, wenn ich bedenke, was bei der folgenden Pressekonferenz zu erfahren war… Ach ja…, im Kubus… Jubel, Erleichterung, glückliche Mitmenschen (warum waren es eigentlich so wenige). Magdeburg –Juhu– als erste Stadt aus dem wissenden Umschlag gezogen. Es war wie einst, als aus einem drittklassigen Verein ein zweitklassiger wurde.

Begegnungen zur Live-Übertragung anlässlich der Vorentscheidung zu den sich bewerbenden Städten um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025 am 12. Dezember 2019 im KUBUS 2025 © Wolfgang Krebs

Pure Freude. Lauter Jubel ist meinem Wesen fremd. Doch ich ertappte mich dabei, applaudierend, lächelnd, wohlwollend mit dem Kopf nickend um mich zu blicken. Selbst Dr. Trümper lächelte ein wenig, als er auf der Bühne stand. Sichtlich erleichtert und nonchalant gab er noch einige Sätze zum besten. Tamas Szalay, der Leiter des Bewerbungsbüros, ein alter Hase in Sachen Kulturhauptstadt, gehört auf die Bühne. Er war schon einmal dabei, als eine Stadt nicht Kulturhauptstadt wurde. Der Mann hat die Erfahrung des Scheiterns. Den Willen, es zu meistern. Auch Rocky Balboa musste erstmal auf die Bretter gehen, um den Tiger in sich zu wecken. Herr Szalay macht einen guten Job und auf der Bühne ist er ein perfekter Entertainer. Wer noch weiter kam, ich weiß es nicht. Magdeburg ist weiter. Das ist gut für das kollektive Selbstbewusstsein der Stadt…Stopp! So sollte es wohl sein. Nicht in Magdeburg. Nein… Nörgler in nicht geringer Zahl stellen das Projekt in Frage. Das „Keinen Mutmachen“ der Medien, kein gemeinschaftliches Daumendrücken der Magdeburger. In anderen Städten war dies eine Selbstverständlichkeit. Die Öffentlichkeit und die Medien stehen hinter ihrem Team. Zitat Dr. Trümper: “ Wir haben die ganze Stadt als Team wahrgenommen …“

Wo ist der Rückhalt aus der Bürgerschaft für die Macher in Magdeburg? Tun sie es doch nicht für sich selbst. Ist es doch kein eitles, ehrgeiziges Egospiel des Oberbürgermeisters. Es ist für die Stadt gemacht. Für jeden Bürger zum Nutzen. Das Unterfangen bringt nachhaltig einen Schub mit kulturellen Auswirkungen, treibt die Stadtentwicklung voran, fördert soziale und wirtschaftliche Expansion. Von Beginn mit den Menschen Hand in Hand ist nicht nur ein Lippenbekenntnis. Hand in Hand funktioniert besser, wenn jeder der bisher als desinteressierter oder nörgelnder Bürger zuschaut, mitmacht. Die städtischen Medien können dabei die Rolle von Cheerleader übernehmen. Ach ja, ich träume wieder von einer perfekten Welt…aber welcher Magdeburger weiß, dass zehn verschiedene Leute in perfektem Englisch, jeder nur auf die Sekunde genau drei Minuten Redezeit bekam, um die europäische Jury davon zu überzeugen, würdigen Ort zu vertreten. Zu überzeugen, dass ein möglichst hoher Prozentsatz an urbanem Volk nachhaltig von den Errungenschaften, welche eine Ernennung zur europäischen Kulturhauptstadt mit sich bringt, profitieren. Das ist eine wichtige Bedingung. Eine Vorbereitungszeit von neun Jahren führte die Mitmenschen in der Stadt bis hierher. Es sollte immer wieder betont werden…“die Bürger der Stadt“, ja ihr seid gemeint, betrachtet diese Unternehmung als gemeinsame Sache. Es gibt eine kleine Gruppe von Menschen, die sich für die Allgemeinheit den Anus weiten. Honoriert dieses wenigstens mit einem Daumen hoch, klappt doch auch bei jedem albernen Katzenvideo. Es ist wie beim Fußball, einige wenige laufen sich den Wolf und die ganze Stadt tut so, als hatte sie was dazu beigetragen. Jetzt dürft ihr.Beweist, dass in dieser Stadt Menschen wohnen, die es verdient haben, in einer Kulturhauptstadt zu leben. Selbst wenn Magdeburg nicht den begehrten Titel bekommt. Na und. Columbus ist auch nicht in Indien angekommen. Allein das Vorhaben zählt. Eine Stadt, die zu Beginn der 1990er Jahre der Ruf einer Nazihochburg nachhing. Die vom Proletariat des Schwermaschinenbaus geprägt wurde und nicht wie Dresden von Schöngeistern. Habe ich schon erwähnt, dass Dresden raus aus dem Rennen ist. Egal, es gibt mutige Menschen, die das Gold im Dreck sehen und sagen, ja wir sind eine Stadt, die es verdient hat, Kulturhauptstadt zu sein.

Dazu gehört Courage und eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. Weil das immer noch besser ist, als sich zu bemitleiden. Die Crew hat jetzt Zeit bis Ende Mai 2020 die nächsten Aufgaben zu meistern. Schwenken wir doch Montagsfähnchen als Zeichen der Anteilnahme. Bringt doch die Presse jeden Monat einen Statusbericht auf Seite eins, damit auch der letzte Machdeburcher merkt, dass etwas Großes vor sich geht in der Stadt. Verteilen wir Aufkleber mit dem Slogan „Magdeburg 2025 – eine Chance und nicht anders“.

Alle Informationen zur Kulturhauptstadtbewerbung auf: https://www.magdeburg2025.de/ und zur Live-Übertragung am 12.12.2019: https://www.magdeburg2025.de/veranstaltungen/detail/news/public-viewing-p-bl-k-vju-n/

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