KUNST/MITTE Notes

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Detektivarbeit zwischen gestern und heute: „Dies ist keine Forschung für den Elfenbeinturm“

01.08.2019, Dorothea Hertel
„Suche nach Herkunft“ – aktuell im Bomann-Museum in Celle, unterstützt in der Provenienzforschung vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (MD)

Kunstgeschichte schreibt sich oft wie ein Krimi – von den Medicis in der Renaissance bis zur spektakulären Dresdner Entdeckung der Übermalung des Vermeers im Mai dieses Jahres (mdr). Im besonderen Fokus steht in letzter Zeit die Kunst, die in irgendeinem Zusammenhang mit der verfolgten „entarteten“ Kunst während des NS-Regimes steht, allen voran Emil Nolde, den Angela Merkel unlängst im Kanzleramt abhängen musste (Tipp hierzu ist die Ausstellung im Hamburger Bahnhof). Ein gutes Beispiel dafür, wie frühere Geschehnisse ins Heute wirken …
Für die Forschung in Museen – oder auch initiiert durch private Sammlungen – sind frühere Auktionskataloge und Dokumente von Kunsthändlern eine der wichtigsten Quellen, um die Netzwerke und Verhandlungen auf dem damaligen Kunstmarkt aufzudecken.

Hierbei geht es nicht immer um verbotene Kunst in der Diktatur, sondern auch um die damals „gewünschte“! Denn nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 mussten viele jüdische Kunsthändler aus Deutschland fliehen, darunter Alfred Flechtheim und Walter Feilchenfeldt, während beispielsweise der renommierte Kunsthändler und Auktionator jüdischer Abstammung Paul Graupe aufgrund einer Sondergenehmigung der Reichskulturkammer noch bis 1937 seinen Beruf ausüben durfte. Da er internationale Kunden hatte, galt er Joseph Goebbels als ein relevanter Devisenbringer. Graupe war nun an der Auflösung zahlreicher Kunstsammlungen beteiligt, zu denen die von Nationalsozialisten verfolgten Juden mit Einkommenssteuer-nachforderungen und der Reichsfluchtsteuer genötigt wurden. Rund 160 Auktionen mit Werken von Rubens, Rembrandt oder Tiepolo, Corot, Menzel und Liebermann hatte Graupe veranstaltet, bis er dann selbst in die Schweiz fliehen musste. Das Geschäft in Berlin wurde zugunsten von Hans Wolfgang Lange ‚arisiert‘ und weitergeführt. Hans W. Lange (1904-1945) war seit Ende 1925 für Paul Graupe tätig gewesen und konnte dessen Auktionshaus 1937 für wenig Geld übernehmen.

Hans W. Lange veröffentlichte bis 1945 fünfunddreißig Auktionskataloge mit Gemälden und anderen, meist hochwertigen Kunstobjekten, aber auch Waffen- und Ostasiatikasammlungen. Unter den eingelieferten Objekten fanden sich zahlreiche Übergaben durch das Finanzamt Moabit-West aus ehemals jüdischem Besitz. Mehr als ein Viertel des Umsatzes des Auktionshauses stammte damit aus Zwangsverkäufen. Museen, also öffentliche Sammlungen, waren gern gesehene Kunden, wenn es um die Abnahme von zwangsenteigneten Objekten ging.
Zum Kunsthandel während des NS-Regimes sei übrigens der Sammelband „Werke und Werte: Über das Handeln und Sammeln von Kunst im Nationalsozialismus“ der Hamburger Provenienzforscherinnen Ute Haug und Maike Steinkamp empfohlen.

Dank ihres kriminalistisch-wissenschaftlichen Gespürs sind in Caroline Flicks Publikation „Geschick im System“ einige Episoden des Lange’schen Kunsthandels nachvollziehbar. So gelangte beispielsweise das Marmorrelief von Berthel Thorvaldsen in die Staatlichen Museen zu Berlin, indem Paul Ortwin Rave (1893-1962), kommissarischer Direktor der Nationalgalerie in Berlin, damals den von Lange angesagten Preis in Höhe von 2500 Reichsmark (RM) akzeptierte. Lange hatte das Relief in Leipzig für 1500 RM erworben. Für Berlin taxierte er die Arbeit auf einen Marktwert von 8000 RM – und bei den veranschlagten 2500 RM stimmte Berlin zu. Sicherlich fand man hierin auch die Legitimation für den Erwerb eines enteigneten Kunstwerks.

Nicht immer – wie in diesem Fall – können Provenienzforscher heute zurückverfolgen, aus wessen Besitz das jeweilige Objekt zu dem Veräußerer gelangte. Hervorragende Arbeit hat im niedersächsischen Celle dazu Christopher M. Galler geleistet; unterstützt hat diese Provenienzforschung das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (Magdeburg). Das Ergebnis wird derzeit im Bomann-Museum gezeigt: „Suche nach Herkunft“ (bis 29.03.2020) – meine unbedingte Empfehlung, schon der Ausstellungsszenografie wegen, denn die Besucher*innen dürfen hier direkt selbst detektivisch arbeiten.

Die Ausstellung vermittelt einen Überblick über wichtige Ergebnisse aus drei Jahren Forschungsarbeit. Sie beleuchtet sowohl die Zugänge aus lokalem jüdischem Besitz nach 1933 als auch Erwerbungen aus dem Kunsthandel, insbesondere bei Hans W. Lange in Berlin. Darunter konnten bisher mehrere Objekte identifiziert werden, die infolge des systematischen NS-Kunstraubs in Europa enteignet wurden, unter anderem in den Niederlanden und Frankreich. Zwei 1943 erworbene Gemälde gehörten zuvor zur Sammlung des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann.

Etikett von der Rückseite eines 1943 vom Bomann-Museum erworbenen Gemäldes, das zuvor zur Sammlung des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann gehörte. Foto: Bomann-Museum

Diese und weitere Fälle sowie die spannenden Recherchewege können in der Ausstellung nachvollzogen werden. Anke Schlicht schreibt für Celle Heute: „Das Vermögen emigrierter und deportierter Juden verfällt dem Reich“, hieß es in der Verordnung vom 25. November 1941 zum Reichsbürgergesetz. Eine Schlüsselrolle bei Kunstgegenständen kam deren Händlern und Auktionatoren zu. Mit welcher Haltung diese ihre Profession betrieben, macht der Leiter des Fachbereichs Provenienzforschung am Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste Dr. Uwe Hartmann, während der Ausstellungseröffnung am 4.7.2019 anhand eines Zitates deutlich: „Den Juden ist das in ihrem Besitz befindliche Kunst- und Kulturgut, an dem ihre Rasse schaffend nie beteiligt war, zu entziehen und in arische Hände zu bringen. Die Überleitung in arischen Besitz erfolgt über den Kunsthandel“, habe das Mitglied der zentralen „Arisierungsbehörde“ im besetzten Österreich, Hermann von Trenkwald, im Jahr 1939 geschrieben.

Für das Celler Bomann-Museum nahm diese Position das Auktionshaus Hans W. Lange ein. Von 1940 bis 1944 war es die Bezugsquelle für rund 100 Kunstobjekte. Diese zählen zu den rund 3.000 Objekten, deren Herkunft der Historiker Galler seit März 2016 erforscht.

Insgesamt verzeichnete das Celler Museum zwischen 1933 und 1945 6.000 Neuzugänge. Hierbei handelte es sich bei einem erheblichen Teil um lokale Gegenstände aus jüdischem Besitz. Nicht nur am Fall Iwan Dawosky und dessen Frau Lydia, die sich, als Erbin seines Vermögens vorgesehen, in einem Konzentrationslager befand, als sich das Museum im Jahr 1943 des Besitzes bemächtigte, möchte Christopher Galler gesellschaftshistorisch aufklären – und nicht nur die Exponate präsentieren, sondern auch die dazugehörigen Menschen, das Verfolgungsschicksal, die Bedeutung, die die Gegenstände in ihrem Leben einnahmen, mit welcher Hingabe sie sammelten und bewahrten. „Dies ist keine Forschung für den Elfenbeinturm“, macht Galler in seinem Vortrag klar. Es geht um Biografien von Objekten, und diese zu erstellen, ist überaus schwierig.

Am 18.08.2019 gibt es 11:30 Uhr eine Kuratorenführung mit dem überaus hilfsbereiten Christopher Galler. (Die Führung ist kostenlos, es wird nur der Museumseintritt erhoben.).

Weitere Vorträge und Veranstaltungen sind auf der Internetseite des Bomann-Museums Celle, Schloßplatz 7, in 29221 Celle zu finden.

Einen schönen Überblick zur Ausstellung stellt der NDR bereit.

The Who is Who: Alle deutschen Auktionshäuser von 1901-1945 und ein Kurzabriss ihrer Tätigkeiten findet sich auf arthistoricum.
Einen Leitfaden zur Standardisierung von Provenienzangaben wurde übrigens 2018 vom Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. herausgegeben: PDF Leitfaden.

Autorin Jana M. Noritsch ist im Arbeitskreis Werkverzeichnis sowie im Bundesverband Künstlernachlässe Mitglied. Künstler*innen, die sich zu einem eigenen Werkverzeichnis inspirieren lassen möchten, um die Entstehung und den Verbleib ihrer Arbeiten zu dokumentieren, können sich bei diesen Stellen informieren, hier Fragen stellen oder sich die bereits veröffentlichten Werkverzeichnisse auf arthistoricum ansehen. Dies gilt auch für Sammler*innen, die bspw. eine Lücke in einem künstlerischen Œuvre schließen wollen oder die Geschichte(n) von Objekten nachverfolgen wollen.
PS.: Gesucht werden Hinweise und private Geschichten mit Bezug auf entzogene Werke während der DDR (siehe: In best hands).

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