KUNST/MITTE Notes

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Kulturpolitischer Streifzug: Ist Berlin ein guter Ort für Künstlerinnen?

26.01.2019, Dorothea Hertel

Kulturfinanzierung ist schon immer – und zwar überall – ein großes und sehr komplexes Thema. Hier ein Blick auf die Situation im „Haushaltsnotlageland“ Berlin.

Zum einen brauchen bildende Künstler*innen bezahlbare Räume, um darin zu leben, zu arbeiten und solche, in denen sie ihre Kunst präsentieren können. Zum anderen müssen sie ihre Werke verkaufen können. Sonst wandern sie ab. Und das darf keinem Land, keiner Kommune, keiner Stadt egal sein! 

„Wenn nicht einmal junge, internationale Künstlerinnen und Künstler in Berlin arbeiten können, weil die Rahmenbedingungen zu teuer und zu beknackt sind, dann hat Berlin halt ein krasses Problem!“, findet re:publica-Gründer und Kunstmäzen Andreas Gebhard im Galeriegespräch mit mir. „Es geht ja auch um‘s Sichtbarwerden – die künstlerischen Arbeiten brauchen Öffentlichkeit!“ Gebhard: „Ja, es geht eben um Zugänglichkeit: Es ist ja ein ziemlich elitäreres Umfeld, in dem wir uns da bewegen, das musste ich auch überhaupt erst einmal lernen, was das alles bedeutet, die ganzen Kasten, die es in dem Markt gibt. Aber der Punkt ist eigentlich vielmehr, dass ich total gut nachspüren kann, dass die Berliner Szene theoretisch ein ganz gutes Umfeld ist, aber praktisch total schwierig! Und ich will den Markt überhaupt nicht dissen oder so, sondern es sollte viel selbstverständlicher sein, dass Leute, die es sich leisten können und die eine Verbindung zu Berlin haben, gerade hier junge, auch internationale Künstlerinnen und Künstler unterstützen, indem man sich damit beschäftigt und auch mal etwas kauft! Es kann doch nur Qualität entstehen, wenn Leute auch den Freiraum für die Kontemplation haben – und die Muße, um ihre Arbeit machen zu können. Das ist nicht gewährleistet, wenn permanent der ökonomische Druck da ist.“ 

Foto: kunstleben-berlin

Im Vergleich zu anderen Großstädten sind die Lebenshaltungskosten in Berlin sicher noch günstig, aber allein die Atelierkosten von Oberschöneweide bis Steglitz, von Schöneberg bis Moabit haben ungewöhnlich hohe Preisniveaus erreicht! Mittlerweile kaum mehr bezahlbar… Die Galerieszene wartet mit allem Vorstellbarem auf: Top-Galerien teilen sich mit kommunalen Galerien, die gerade an Ansehen gewinnen, mit Pop-Ups oder eigenwilligen Mischkonzepten ebenso das kunstinteressierte Publikum wie mit Künstlerkolonien, Atelierhäusern, Stiftungen, Messen oder privatwirtschaftlich initiierten Kampagnen.

Seit Dezember 2014 ist Michael Müller Regierender Bürgermeister, seit 2016 haben wir eine rot-rot-grüne Regierung mit dem beliebten Dr. Klaus Lederer als Senator für Kultur und Europa. Selbst wenn die jetzige Landesregierung mehr Kultur fördert als die vorherige, ist dies noch viel zu wenig. Auf der Senatsseite lesen wir, dass sich neben etwa 20.000 Kunstschaffenden hier 160.000 Beschäftigte in der Kultur- und Kreativwirtschaft tummeln. 

Wir haben für die Bildenden Künstler*innen neben ganzen Projektfinanzierungen/Förderungen in einzelnen Bereichen wie Atelier, Katalog oder Ausstellungsraum. Im Bubble Chart der Berlin-Datenbank erfahren wir von allen Zuwendungen in allen Sparten der letzten zehn Jahre: 2017 gab es 596 Förderzuwendungen im Bereich Kultur mit einem Volumen von 122.057.383 Euro, was 7,67 Prozent des Jahreshaushalts sind. Dass das nicht viel ist, zumal es vorrangig in die städtischen Opern, Theater und Museen fließt, liegt auf der Hand. Außerdem wird aus den geschalteten Anzeigen der Verwaltungseinrichtungen dieser Kulturhäuser offenbar, dass keine freien Künstler*innen — im Wortsinne!— gesucht werden, sondern PR-, Marketing- und Vertriebs-Profis. Diese Kulturmanager müssen dann zunächst jede Menge Formalitäten, Befristungen, Rahmenbedingungen, Gesetze und Vergaberichtlinien beachten, bevor sie sich mit den schöpfenden Akteuren der Lokalszene beschäftigen (können). 

Ein Lichtblick war im Mai 2017 die Verkündung, dass der bbk für Kunstausstellungen ein endlich erhöhtes Ausstellungshonorar erreicht hat: „[…] in enger Zusammenarbeit mit den kommunalen Galerien und der Senatsverwaltung für Kultur konnte deutlich aufgestockt werden: Einzelausstellung (1– 2 Künstler*innen): mind. 1.500 Euro/Künstler*in; Kleingruppenausstellung (3 – 9 Künstler*innen): mind. 500 Euro/Künstler*in; Gruppenausstellung (> 10 Künstler*innen): mind. 250 Euro/Künstler*in. Auch die Forderung, dass jede/r teilnehmende/r Künstler*in unabhängig vom Wohnsitz honoriert wird, ist umgesetzt.“ 

Beschäftigen wir uns mit Zahlen und Strategien ziehen wir zweifelsohne die Studien des IFSE von Hergen Wöbken zurate. An der jüngsten Erhebung Studio Berlin III haben 1.745 Künstler*innen teilgenommen (Durchschnittsalter: 47 Jahre). Die teilnehmenden Künstler*innen haben in den letzten drei Jahren zusammen etwa 3.200 Einzelausstellungen gehabt und waren an fast 10.000 Gruppenausstellungen beteiligt, davon fanden jeweils 40% in Berlin statt. Der sogenannte Gender Pay Gap, der geschlechtsspezifischer Lohnunterschied, liegt in der Berliner Kunstwelt bei 28% und damit über dem allgemeinen Durchschnitt von 21%. Während Männer im Jahr mit künstlerischer Arbeit 11.662,- Euro verdienen, beträgt der Verdienst von Frauen nur 8.390,- Euro. So ist generell der Großteil der Künstler*innen auf andere Einkommensquellen angewiesen (für 80% der Kunstschaffenden ist Kunst ein Verlustgeschäft). Insgesamt bezieht nur jede*r zehnte Kunstschaffende das gesamte Jahreseinkommen aus künstlerischer Arbeit, 13% der Männer und 8% der Frauen. Die Studie zeigt zudem, dass 90% der Künstler*innen später nicht von ihrer Rente leben können. Die durchschnittliche Rentenerwartung der Künstler*innen liegt bei 357,- Euro, wobei über die Hälfte aller Künstler*innen weniger als 280,- Euro erwarten.

Wer es noch genauer wissen möchte, der kann sich im Kulturfinanzbericht 2018 vertiefen. 

Neben den landesspezifischen Förderprogrammen gibt es Auslobungen von Stiftungen und oft privatwirtschaftliche Förderung. Das postuliert der Berliner Senat sogar öffentlich: „Vielfalt und Reichtum der Berliner Kulturlandschaft basieren nicht nur auf öffentlich geförderten Angeboten. […] Bürgerschaftliches Engagement und Mäzenatentum in der Kultur ebenso wie Sponsoring und Corporate Citizenship privater Unternehmen und ihrer Stiftungen sind in den letzten Jahren deutlich sichtbarer geworden. Der Senat fördert die Entwicklung der Berliner Kulturlandschaft über finanzielle und nicht finanzielle Unterstützung im Rahmen der Grenzen eines so genannten „Haushaltsnotlagelandes“. Dann bleibt ja nur, auf mehr privates Engagement zu hoffen? Die wirtschaftlichen Verhältnisse für Kunstschaffende müssen sich verbessern! Wenn wir die kulturelle, qualitative und auch ökonomische Verarmung verhindern wollen, braucht es seitens der Politik einen —wie Hergen Wöbken fordert— „Entwicklungsplan zur Gegenwartskunst, der Ziele auf eine Sicht von zehn Jahren entwickelt und umsetzt“. Ansonsten schließe ich mich Andreas Gebhard an, geht unsere Gesellschaft „vor die Hunde“.

Link-Tips für Kreative und engagierte Projektmanager:


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