KUNST/MITTE Notes

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Eine Erinnerung mit hoher Halbwertzeit

08.12.2017, Wolfgang Krebs

Ich mag Kartoffeln. Gekocht, gebraten, gestampft, als traditionelles Kartoffelfeuer und besonders als schwarzweiß Handabzüge auf Barytpapier. Diese optische Spezialität zeigte Richard Welz zur Kunstmesse im Turmpark auf der Galerie hinten links. Die Serie KARTOFFELHERZEN , fünf keimende Kartoffeln aus Sachsen-Anhalt in Form von brennenden Herzen, aufgenommen auf Fotoplatte und von Hand abgezogen auf Barytpapier in der Größe 50 x 40 cm dominierte trotz farbiger, großformatiger Werke die Präsentation des Künstlers. Flüchtig sah ich mir noch die farbigen, abstrakten Werke an. Flüchtig nur, da die brillanten, tadellosen Fotos mit der  besonders hohen Abbildungsqualität dem reinen Weiß, dem tiefen Schwarz und der  hervorragenden Grauwertwiedergabe und den originellen, interessanten Motiven, mich immer wieder ablenkten , so wie das Playboycover, wenn ich die FAZ kaufe. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“, sagte ein Mann links hinter mir. OK. Du bist höflich, du fragst jetzt nicht, wo du die Strümpfe in Größe 43 findest. Höflich äußerte ich mein Gefallen an den Kartoffelfotos und lernte so Richard Welz, welcher ein Diplom in Freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar erwarb, kennen.

So kam ich auch an Informationen über die farbigen Fotografien, welche oberflächlich betrachtet wie die Ergebnisse eines Lightpainters auf Steroide anmuteten. Es war eine Serie von Action Fotografie, in verschiedenen internationalen Großstädten aufgenommen. In jeder Stadt legte der Künstler einen bestimmten Weg zurück. Die Kamera um den Hals gehängt, drückte er auf den Auslöser der Kamera, lief einige Zeit am Abend durch die Stadt und schloss am Ende des Weges die Blende. Die so entstandenen Fotos dokumentieren seinen Weg durch Lichtlinien, Lichtflächen, Form und Farbe. Schönes Projekt. Sehenswert. London ist vorrangig blau. Etwas Unsichtbares ist, was Richard Welz und Saori Kaneko beschäftigt. Radioaktivität! Dies ist gemeinsamer Gegenstand der  Diplomarbeit beider Künstler. made by us so der Titel. Zentrales Thema ist die Auseinandersetzung mit Radioaktivität in der Umwelt, in Deutschland und in Japan.

In Thüringen gibt es überdurchschnittlich viele Lungenerkrankungen. Sein Bruder stirbt vor Richards Geburt an Leukämie. Das war 1987. Ein Jahr nach Tschernobyl. Dies kann natürlich Zufall sein. Trotzdem, in Thüringen gibt es große Uranvorkommen und eine messbar hohe radioaktive Strahlung.

Der radioaktive Sensenmann, er ist unsichtbar, Fukushima weit im Osten, was soll’s… Richard zeigt mir das Bild einer Wiese. Bläulich weiße Grashalme auf blauem Hintergrund, auf  2𝗑4 Meter großer Leinwand. Radioaktiv belastet. Entsetzlich, schön.

Den fotografischen, filmischen Teil des Projekts kreiert Welz. Kaneko nähert sich malerisch der Thematik. Eine Installation mit Telefonhörern stammt von ihr. Ein Symbol für Kommunikation und  für Entfernung. Weil, als Fukushima kollabierte, hielt Kaneko sich in Weimar auf. Mit verschiedenen Mitteln schaffen sie etwas gegen das Vergessen. Dabei ziehen sie Verbindungen zwischen Tschernobyl und Fukushima und Deutschland. Richard Welz zur KUNST/MITTE im Turmpark auf der Galerie, hinten links und tiefgründig. Eine kurze Begegnung, denkwürdig, nachhallend, mit hoher Halbwertzeit.

An diese Begegnung—für Sie—erinnert hat sich Wolfgang Krebs.

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