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Die Malerin Lotte Laserstein – ihre zweite Leidenschaft und eine zweite Karriere

06.12.2019, Dorothea Hertel

Lotte Laserstein (1898–1993) ist bekannt für ihre Portraits und weiblichen Akte, die keine sexualisierende Darstellung von Frauenkörpern sind, sondern in selbstbewusster Weise die „neue Frau“ zeigen. Wir befinden uns Ende der Zwanzigerjahre in Berlin: Laserstein ist eine recht erfolgreiche Künstlerin, die als Freischaffende von ihrer Malerei leben kann, da ihre Arbeit als den aktuellen Nerv der Zeit treffende Kunst besprochen und gehandelt wird.

Lotte Lasersteins „Weiblicher Rückenakt (Madeleine)“: Das Schwule Museum in Berlin erwarb die um 1956 entstandene Ölstudie mit Unterstützung der Kulturstiftung der Länder (Pressebild)

Sie hat nie geheiratet. Sie wollte es allein schaffen. Als eine der ersten Frauen absolvierte sie 1927 das Malereistudium und die akademische Meisterausbildung. Ihre erste Einzelausstellung hatte sie 1931 in der Berliner Galerie von Fritz Gurlitt. Neben ihrem bevorzugtem Modell Traute Rose und anderen Frauen, malt und zeichnet Laserstein Kinder und Menschen in der Großstadt, vom Motorradfahrer über einen Mongolen und eine „Spanische Frau“ (1931) hin zu russischen Mädchen, im Hintergrund: das wachsende Berlin der Zwischenkriegszeit.

„1928 nahm Laserstein mit „Russisches Mädchen mit Puderdose“ an dem Wettbewerb „Das schönste deutsche Frauenporträt“ teil, das unter 365 Werken für die Endrunde nominiert wurde. Die 26 ausgewählten Gemälde wurden in der Galerie Gurlitt ausgestellt und von einem breiten Publikum begeistert aufgenommen.“, schreibt das Städel Museum in Frankfurt/Main 2014 zum Ölgemälde, das es gerade für den Sammlungsbereich um die Neue Sachlichkeit angekauft hatte.

Lotte Laserstein „Russisches Mädchen mit Puderdose“, 1928, Städel Museum FFM, Foto: Städel Museum – Artothek © VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Die Künstlerin rettete das Gemälde „Russisches Mädchen mit Puderdose“ ins schwedische Exil, als sie 1937 aus Nazi-Deutschland fliehen musste, weil sie als Dreiviertel-Jüdin galt und in Gefahr war. Nach Angaben der Kieler Kunsthalle waren in ihrer Berliner Zeit 300 Gemälde und 100 Arbeiten auf Papier entstanden. Im Exil erweiterte sich die Zahl ihres Schaffens um etwa 10.000 Werke.

Erstaunliche Marktentwicklung
Das Gemälde „Dame mit roter Baskenmütze“ (1931), das laut artprice 2018 bei Grisebach auf etwa 60.000 € taxiert wurde und ohne Zuschlag blieb, wurde im vergangenen Monat angekauft von der Berlinischen Galerie.

Kunsthändler und Galerist Dr. Michael Nöth (Ansbach und Potsdam) hatte das Werk 2016 bei einer Auktion des Stockholmer Auktionshauses „Auktionsverk“ (für 9,256 €) aus dem Nachlass eines schwedischen Kunstsammlers erworben, der das Bild von Lotte Laserstein geschenkt bekommen hatte. Lotte Laserstein blieb bis zum Ende ihres Lebens in Schweden und lebte vornehmlich von Auftragskunst. In Deutschland wurde sie sehr lange Zeit vergessen. Das Verborgene Museum in Berlin hat es 2003 mit einer großen Retrospektive im Ephraim-Palais geschafft, Laserstein wieder in das öffentliche, auch internationale Bewusstsein zu bringen.

Als ihr wohl berühmtestes Werk „Abend über Potsdam“ aus dem Jahre 1930, das Laserstein zeit ihres Lebens „bei sich behielt, schließlich 2010 bei Sotheby’s in London für 421.250 GBP versteigert wurde, setzte es für ihr Werk preislich neue Maßstäbe und wirkte als Initialzündung für eine turbulente Marktentwicklung“ (Zitat Internetseite Dr. Nöth). Das Frankfurter Städel Museum präsentierte Lotte Laserstein in einer umfassenden Einzelausstellung vom 18. September 2018 bis 17. März 2019, welche die Berlinische Galerie vom 5. April bis 12. August 2019 übernahm und 48 Gemälde und 9 Zeichnungen in „Von Angesicht zu Angesicht“ zeigte. Noch bis 19. Januar 2020 ist ebendiese Ausstellung in der Kunsthalle Kiel zu sehen.

Laserstein überrascht
Barn (1939), Porträt einer Dame mit Perlohrring (1950) und Die Malerin und Traute Rose, zeichnend (Ascona) (1963) sind weitere Titel der Malerin, aber während meiner Recherchen stoße ich auch auf Gemälde, die sie „Morastiger Weg mit Pfütze“ (1934), „Schafe auf der Weide I“ (1934), „Baumreiche Landschaft mit Steg am Waldteich“ (1938), „Landschaft mit Windmühle (Vermutlich Öland)“ (1950) etc. genannt hat. Solcherart Bildtitel kenne ich aus meinen Forschungen zur Landschaftsmalerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts von Carl Coven Schirm oder dessen früheren Wegbegleiter Eugen Bracht – und tatsächlich erinnern die Bilder an diese traditionelle Ausdrucksweise. Besonders positiv überrascht mich Lasersteins „Maler in den Dünen“.

Lotte Laserstein, Maler mit Schafen in den Dünen, 1933. Öl auf Hartfaserplatte, 50,2 x 60 cm. © Dr. Nöth kunsthandel + galerie

Ich frage in der Galerie nach: Lotte Laserstein eröffnet im Jahr ihres Abschlusses eine private Malschule für Akademie-Anwärter, die sich hier auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten. Einige Zeit im Jahr reist sie mit der Studentengruppe in die Lüneburger Heide, ins Teufelsmoor bei Bremen oder in die Nähe von Cuxhaven an der Nordsee, um Pleinair zu arbeiten. Mit schnellem Strich entsteht auf einer dieser Studienreisen „Maler in den Dünen“ (1933). Während mich Motiv und Farbpalette an Schirms „Sinai“ oder „Kasr el Jehudi (aus der Jordanebene)“ erinnert, zieht die Expertin der Galerie Dr. Nöth, Regina Gerisch, den Bogen zu Brachts „Dünen“. Im Gegensatz zu beiden Herren jedenfalls entsteht auf Lasersteins Hartfaserplatte keine naturgegebene, menschenleere Dünenlandschaft von erhöhtem Standpunkt, sondern eine Schafsherde und ein schaffender Maler an der Feldstaffelei vor eben dieser Düne, alles in aufregend-lebendigem Farbklima! Mir bringt es die Atmosphäre der malenden Gruppe näher – als könnten wir neben Lotte Laserstein stehen und den linkshändigen Maler beobachten. Dr. Anna-Carola Krausse, welche für Lasersteins Werkverzeichnis verantwortlich zeichnet, hat den Laserstein-Schüler übrigens identifiziert als den späteren Professor für Kunst an der Akademie Karlsruhe: Gottfried Meyer (1911 –2005).

Wichtig für die Rezeption ist meines Erachtens, dass die Landschaftsmalerei im Œuvre von Laserstein nicht eine Folge ihres Exil war, sondern sie ihr gesamtes Leben begleitet hat.

Zweite Karriere? Über 10.000 Werke zu schaffen, zeugt von einem leidenschaftlichen Künstlerleben.  

Und darauf kommt es an.

Im Rahmen der Ausstellung „Lotte Laserstein Gemälde und Zeichnungen 1931 – 1975“ gibt es am 6. Dezember eine seltene Gelegenheit zum Kunstgespräch mit Dr. Anna-Carola Krausse: „Lotte Laserstein (1898 – 1993). Stationen einer ausgefallenen Karriere.“, Dr. Nöth kunsthandel + galerie, Humboldtstr. 4 in 14467 Potsdam. Die dortige Ausstellung kann darüber hinaus noch bis 21. Dezember besucht werden.

Aktuelle Ausstellungen:
Dr. Nöth kunsthandel + galerie, Humboldtstr. 4 in 14467 Potsdam https://www.artnoeth.de/
Kunsthalle Kiel http://www.kunsthalle-kiel.de/de/ausstellungen/Laserstein.html

Lektüre:
Lotte Laserstein (1898-1993) Leben und Werk, Anna-Carola Krausse, Berlin 2006
Lotte Laserstein: Von Angesicht zu Angesicht
, hrsg. von Alexander Eiling und Elena Schroll, Prestel Verlag (28. September 2018)
Lotte Laserstein: Meine einzige Wirklichkeit
, Anna-Carola Krausse, Deutscher Kunstverlag (DKV); Auflage: 1 (4. Januar 2018)

Beitrag: Jana M. Noritsch, DAS PRINZIP KUNST


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