Portrait eines leisen Künstlers, der sich tief verwurzelt hat in Magdeburg. Mario Lobedan, einer der Schönheit nicht zulässt und so erst recht einer einzigartigen Schönheit ihren Raum gibt.
Der in Magdeburg lebende Künstler Mario Lobedan ist aufgestiegen. Die Einzelausstellung im Kloster Unser Lieben Frauen zeugt davon. Wer hätte das gedacht. Es ist aufgefallen. In dieser Stadt gibt es Künstler mit Potenzial. Nun ist Mario Lobedan auch nicht einfach zu entdecken. Zu leise ist er. Nicht ohne ausstellerische Vergangenheit, aber unauffällig. Er ist wie scheues Wild. Er lebt ohne Aufmerksamkeit zu erheischen leise und ruhig unter uns. Auf Veranstaltungen der Szene ist er ebenso wenig zu finden wie auf den Festen, wo es ums Sehen und Gesehen werden geht.
Vor längerer Zeit durfte ich den Künstler in seinem natürlichen Habitat besuchen. In seinem Atelier war es hell, geordnet und aufgeräumt. Mario Lobedan, ein freundlicher Mensch mit wachen strahlenden Augen. An den Wänden hängen und stehen Bilder in Öl und Acryl, noch unfertig. Außerdem noch Graphitarbeiten auf Papier. Der Künstler ist stolz auf sein bisheriges Werk, die Ehrungen, die im bisher widerfahren sind und auf sein Kunststudium. Hintergründig ist vielleicht ein latenter Ärger zu spüren, über Menschen, welche sich Künstler nennen, ohne ein abgeschlossenes Studium der Künste vorweisen zu können und ihr Handwerk erfolgreich an den Konsumenten bringen. Aber kein Neid, keine Arroganz. Möglich, dass er recht hat. Es gehört mehr dazu, als einen Pinsel über ein Medium zu wischen oder Alltagsgegenstände zusammenzufügen, um die Kunst aus einer Seele zu destillieren und zu materialisieren, seinem inneren Befinden Gestalt zu geben, dem Betrachter die mythischen Wahrheiten des Lebens nahezubringen. Ob dafür ein Kunststudium notwendig ist, weiß ich nicht, kann aber hilfreich sein.
Darum ging es in unserer netten Plauderei auch nicht. Ein Eindruck, der mir blieb von einem, den ich bisher nur vom Hörensagen und einer kleinen Auswahl kannte: Ihm ist durchaus bewusst, dass seine Kunst schwer zugänglich ist und diese Werke weit entfernt davon sind, als bloße Dekoration zu fungieren. Er ist aber nicht bereit, etwas anders zu machen. Schon gar nicht, um dem Markt gerecht zu werden. Gefällt mir, dieser Mann. Der Besuch ist nun zwei Jahre her.
Bis zum 17. Juni wird Mario Lobedan im Kloster Unser Lieben Frauen zu Magdeburg gezeigt. Ich fragte meine Freundin Nike, ob sie mich begleitet. Nike liebt Kunst und nahm sich die Zeit. Allerdings betrachtet sie Kunst anders als ich. Sie versucht zu ergründen, mir reicht es zu fühlen. Nike sucht das Figürliche und Gegenständliche im Abstrakten, mir reichen Form und Farbe. Für Nike ist der psychologische Zustand des Künstlers durch das einzelne Werk ergründbar. Spekulation und scheißegal, denke ich.
Wham, Boom, Bazingaaaaa, ich muss hier raus! Die Wucht, die Energie und das Geschrei, mit der mich die großformatigen Werke Lobedans empfangen, überfordern mich schlichtweg. Einen Augenblick lang verliere ich die Herrschaft über meine Sinne. Meine Mitte suchend stelle ich mich in den Raum und schaue nach einem Werk, welches mich sanft umarmt. Gibt es nicht. „OK, konzentriere dich nur auf ein Bild.“ Um die eigene Achse drehend stoppen meine Sinne bei dem Bild mit den sanftesten Farben.
Nikes erste, sehr sachliche Feststellung: „Die Bilder brauchen Raum.“ Da gebe ich ihr Recht. Die Größe, die Energie und die wirbelnden, teils bedrückenden Farben. Sie hängen zu eng beieinander.
Ein Werk, welches mich dann doch zur Ruhe bringt, wegen seiner Farben, die in mir ein wärmendes Licht entfachen, wegen der dynamischen Spachtel- und Pinselführung über diesen ruhenden, hervorleuchtenden Flächen, wird von Nike optisch abgetastet. Einen See mit Seerosen entdeckt sie, Bäume, es hat Tiefe das Bild. „Aber warum verdeckt er alles, all die schönen Farben mit schwarz. Er lässt keine Schönheit zu.“ Düster und unfertig sind die Worte, die Nike zu dem Bild daneben in den Raum hängt. Düster und unfertig—wie ein vor sich hin baumelndes Windspiel bewegen sich die Worte vor mir. „Düster“ lass ich hängen, „unfertig“ ersetze ich durch „verwegen“. Es gehört schon eine gehörige Portion Verwegenheit dazu, solch ein tiefes Blau und Schwarz über die gefälligen Farbschichten zu spachteln. Oh wunderbare Düsternis. „Ist er depressiv?“, fragt sie mehr sich als mich. Was spielt das für eine Rolle? Ist mir auch egal. Er malt intuitiv. Schichtet seine Bilder. Helle freundliche Farben hinten werden von dunklen Farben überdeckt. Mich interessiert, was die Bilder mit mir machen. Wie berühren sie mich. Welche Emotion zupfen sie an. Ich glaube, Lobedan malt für sich. Mag sein, es ist ein Drang, eine Intuition, ein Impuls, dem er folgt. Nicht planlos, gegenstandslos und nicht figürlich. Die Bilder haben keinen Titel, das heißt, es gibt keine Interpretation, finde es schön oder nicht schön, versuche es nicht zu erklären. Ich muss Kunst nicht verstehen. Kunst, die ich verstehe, ist oft langweilig. Kunst, die ich nicht begreifen kann, fordert mich heraus. Sie macht etwas mit mir, mit meiner Psyche mit meinem Intellekt. Ich rede mit mir selbst. Nike füllt sich angesprochen. „Ja, dann schau mal das Gemälde hier an. Das ist eindeutig ein Paar, er umarmt sie und sie schauen auf ein Meer. Das sind bestimmt Erinnerungen an einen Urlaub mit seiner Freundin.“ Gut, es sieht wirklich nach Mann und Frau am Meer aus inklusive Umarmung, aber alles andere ist Spekulation. „Dann schau dir mal das Bild an.“ Sie lässt nicht locker. „Das ist doch ein Zaun.“ Mag sein. Wenn ich darin etwas sehen will, dann zwei Hochhäuser. Aber ich will nichts sehen. Bei diesen beiden Bildern werden wir uns nicht einig. Bei den anderen auch nicht. Nike sucht einen Zugang. Sie möchte ergründen, etwas erkennen. Sie sieht grüne Wiesen, einen Wasserfall und darüber Düsternis. „Die Stimmung kippt in den Bildern.“ Das fühle ich auch so. „Er verbietet sich das schön Malen, ist eine ihrer Vermutungen. Einige Bilder haben etwas von einem Geheimnis. Als wolle er ein Geheimnis bewahren.“ Ich hingegen sehe Form, Farben und Strukturen, von seinen Malutensilien auf den Farbschichten zurückgelassen. Jedes der Bilder wirft bei Nike andere Fragen auf, assoziiert etwas Neues „Für mich ist das alles Natur“, sagt sie, „Ich sehe nur Naturbilder.“ Natürlich lassen die Bilder Nikes Assoziationen zu, doch dort, wo sie Mangrovenwälder vermutet, sehe ich, wenn ich es will, Häuser durch das Fenster einer fahrenden S-Bahn. Doch beide finden wir: Es ist eine große brachiale Wucht, die mit hohem Tempo aus den Bildern geschleudert wird. Eines der Werke, in dem Nike einen See mit Fischen und Wasservögeln sieht, ist für mich in seiner verströmenden Energie geradezu biblisch. Beide stehen wir davor. Bewegt, beeindruckt, erfreut, fasziniert. Wir schauen auf dasselbe Bild, nehmen es beide unterschiedlich wahr, aber für beide ist es einfach nur schön und es macht uns auf eine seltsame Weise glücklich.
Die Graphitzeichnungen sahen wir früher schon in anderen Ausstellungen. Ich finde sie bemerkenswert. Sie wirken wie minutenschnelle Bleistiftamokläufe und sind doch in wochenlanger Arbeit entstandene Energieflüsse in Grau auf Papier. Wir nannten es, der besseren Verständigung wegen, „Das Gekritzel“. Herr Lobedan möge uns verzeihen.
„Das Gekritzel“ zeugt wohl von einem kreativen Geist. Es ist schwer vorstellbar, dass es ein geplantes Vorgehen gibt bei der Entstehung der „Graphitis“. Spannend, originell und kreativ sind sie allemal. Es sind solche Arbeiten, die dem eher kunstfernen Betrachter ein „Das kann ich auch“ entlocken, wo dann, sollte es zu einem Versuch kommen, nur ein „Das kannst du nicht“ als Antwort in Frage kommt.
Mario Lobedan kann es. Gut ist, dass er eine Einzelausstellung im Kunstmuseum zu Magdeburg installieren durfte. Aufgewühlt, nachdenklich, beeindruckt, ratlos, überrascht, erfreut, verzückt, keiner dieser Zustände beschreibt korrekt unsere Gefühlslage nach Verlassen der Ausstellung. Nike und ich sahen Werke, die uns beide trotz differenzierter Betrachtungsweise lobedanisiert entließen.
Glückwunsch zum Aufstieg in die nächste Liga, Herr Lobedan. Ich schwenke meinen Schal.
Mario Lobedan: Allegro ist noch bis zum 17. Juni 2018 im Kunstmuseum Magdeburg zu sehen.
PS: Abonnieren Sie unseren Newsletter, wenn wir Sie über Kunst und Kultur in Mitteldeutschland auf dem Laufenden halten sollen.