Betritt man durch ein großes doppelflügeliges Tor den Moritzhof, dann gehört die Zeit einem Arthouse-Film, einem Konzert, einer Lesung, einem Kinderfilmfestival, einem Buch- oder Musikfest oder einer Ausstellung. Der Verein ARTist! hat im Moritzhof eine Kulturinstitution kreiert, die täglich ein Ziel für Besucher aus der ganzen Stadt ist.
Ab Januar 2018 wird die HofGalerie des Moritzhofs zum Ausstellungsort für künstlerische Fotografie. Damit schärft der ARTist! e.V. die programmatische Ausrichtung des Kulturzentrums, die ihn zur ausgewiesenen Adresse für Filmkultur, Fotografie und Kunstvermittlung machen könnte.
Als im Sommer 1993 erstmals Filme im Moritzhof gezeigt wurden, glich er noch einem bereits lange verwaisten Anwesen, das der Zahn der Zeit dem Verfall preis gegeben hatte. Trotz bröckelndem Putz, rieselndem Mauerwerk, Löchern im Dach und Feuchtigkeit in den Wänden wurden die Kinosommer ein Erfolg und der cineastische Geist zum neuen Lebensquell des einstigen Bauernhofs.
Dennoch stand Ende der 1990er Jahre zunächst die Frage im Raum, ob ein Kulturzentrum wie der Moritzhof überhaupt benötigt wird. Magdeburg befand sich zu der Zeit auf einer Talfahrt, fast 50.000 Einwohner hatten der Stadt bereits den Rücken gekehrt und große Multiplexkinos mittlerweile auch hier das Licht der Welt erblickt. Doch Lethargie und Leere erzeugen meist auch eine kreative Gegenbewegung. So auch in Magdeburg. Ein dutzend Leute taten sich 1999 als Verein ARTist! zusammen und belebte den Moritzhof sowie andere Orte der Stadt mit Kultur. Bis heute ist das persönliche Engagement seiner aktuell 30 Mitglieder, von denen 15 das Programm aktiv mitgestalten, eine tragende Säule des Kulturzentrums, das sich zu 75 % selbst finanziert.
Erbaut wurde der Vierseitenhof 1855 am Moritzplatz in der Neuen Neustadt. Er ist Zeugnis der Acker- und Handwerkerstadt, die der Stadtteil einmal gewesen ist. Zu DDR-Zeiten gab es Pläne, aus der Gegend eine moderne Wohnstadt zu machen, die jedoch nur punktuell realisiert und mit der Wende aufgegeben wurden. Noch heute ist die Neue Neustadt, die sich unweit von Stadtzentrum und Universität befindet, ein diffuses Konglomerat an Gewerbegebiet, Plattenbausiedlung und kleinbürgerlicher Wohngegend. Als die Stadt schlussendlich einer umfassenden Sanierung des maroden Baudenkmals am Moritzplatz zustimmte, dann auch, um damit einen kulturellen Anker zu setzen, der dem Stadtteil zu einem Stück Identität verhelfen sollte.
Seit der Restaurierung, die von 2004 bis 2006 unter Federführung des Architekturbüros „Trompeter und Münster“ erfolgte, erstrahlt das zweiflügelige Haupthaus wieder in pastellgrüner, klassizistischer Eleganz. Auch Seitentrakte und Scheune erhielten ihre ursprünglich bäuerliche Anmutung zurück und verleihen dem Innenhof vor allem im Sommer eine mediterrane Atmosphäre. Um den Moritzhof zukünftig auch als Ausstellungsort nutzen zu können, wurde im Erdgeschoss des Haupthauses ein großer, lichter Raum geschaffen, in der sich fortan die HofGalerie befinden sollte.
Als erklärter Rahmengeber für Kultur arbeitet ARTist! stets eng mit anderen Kulturakteuren zusammen und greift auch bei der Neuausrichtung der HofGalerie auf das in Magdeburg bereits vorhandene Potenzial im Bereich Kunst und Fotografie zurück. So werden die Ausstellungen von einem Team kuratiert, dem die Magdeburger Fotografen Sylvia Pudel, Elisabeth Heinemann und Alexander Lichtner angehören. Mit Horea Conrad zählt außerdem der Gründer des Kunstvereins derART dazu, der mit Ausstellungen und Workshops zur Dokumentarfotografie die Vermittlung von Kunst in Sachsen-Anhalt fördert. Kooperationen wird es darüber hinaus mit der KUNST/MITTE geben sowie mit dem Institut français, die bereits im Rahmen der Franko.Folie! oder dem französischen Jugendfilmfestival Cinéfête erfolgreich läuft. Neben Künstlern aus der Region sollen dadurch auch Fotografen aus Frankreich eingeladen werden, in der HofGalerie Arbeiten zu präsentieren. Ob Profi oder Hobbyfotograf ist bei der Auswahl der Fotokünstler zweitrangig, viel entscheidender sind relevante Themen, ausdrucksstarke oder neue Bildsprachen und Originalität.
Eröffnet wird die Galerie für Fotokunst mit einer Ausstellung des Magdeburger Fotografen Holger Dülken, von dem unter dem Titel In The Mood experimentelle Akt- und Porträtfotografie zu sehen ist. Die verborgene Schönheit des Mikrokosmos Gehirn steht im Anschluss daran im Mittelpunkt der Ausstellung „Landschaften des Geistes“. Mikroskopische Aufnahmen aus dem Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie zeigen dann die ästhetischen Dimensionen der menschlichen Schaltzentrale.
Begleitet wird der Neustart der HofGalerie zudem von einer Filmkunstreihe, in der Filme und Dokumentationen gezeigt werden, die den Entstehungsprozess von Kunst, ihre Spielarten und Ausdrucksformen thematisieren. Im Januar gehören hierzu eine Dokumentation über die New-Wave-Ikone Ann Clark, ein Porträt über den Künstler Julian Schnabel, eine cineastischen Reise zu zwei Ausstellungen von David Hockney in der Royal Academy of Arts und ein Blick hinter die Kulissen der L´Opéra de Paris. Um über Kunst auch ins Gespräch zu kommen, ist bei der Vorführung der Reportage „Schön, dass Du da bist“, die von der Begegnung des Malers Robin Zöffzig mit dem Sexualtherapeuten Jürgen Lemke erzählt, neben Zöffzig selbst u.a. auch der Regisseur André Plath anwesend.
Man möchte meinen, dass Credo des Moritzhofs sei „Kunst für alle!“. Auch wenn mit Programmkino nie ein Massenpublikum erreicht wird und ihm nicht die Mittel großer Kunst- und Kulturzentren zur Verfügung stehen. Er ist auch nicht das klassische Stadtteilkulturzentrum, das sich mit niedrigschwelligen Angeboten an die Bewohner der unmittelbaren Umgebung richtet, sondern Kunst und Kultur als Selbstzweck begreift. Damit spricht er Leute aus Magdeburg an, die noch einen anderen Blick auf die Realität wollen, eine Alternative zum Mainstream oder einfach einen unprätentiösen Ort, an dem sich der Staub des Alltags abwaschen lässt. Diese Momente und die Fähigkeit der Kunst—wie sie Pablo Picasso einmal pointierte—lassen sich im Moritzhof erleben, sobald man ihn durch das große doppelflügelige Tor betritt.
„Wenn man jemanden erzählt, dass man in Magdeburg aufgewachsen ist, ruft man in den meisten Fällen Mitleid hervor, obwohl die wenigsten weiter als bis zum Dom gekommen sind, falls sie überhaupt die Stadt je betreten haben. Inzwischen halte ich es für einen Vorteil, in einer Stadt voller Leerstellen aufgewachsen zu sein. Es schult den Blick und verhindert, Kunst und Alltag nur in den Kategorien von schön und häßlich zu denken.“ — Annett Gröschner „Geburtsort Magdeburg“ in: Ulrich Wüst „Morgenstraße – Magdeburg 1998–2000“
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