KUNST/MITTE Notes

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100 Jahre Bauhaus – reformerisch-utopischer Wille. Ein Interview mit Leon Claus.

23.03.2019, Kirsten Mengewein

Leon Claus studiert seit 2015 Urbanistik im Bachelor an der Bauhaus-Universität Weimar und interessiert sich neben dem historischen Bauhaus für aktuelle Fragen des (bezahlbaren) Wohnens und der Wohnungspolitik.

Im Bauhaus Dessau

Leon, du hast Zyklus 2014/2015 dein FSJ Kultur am Bauhaus Dessau absolviert. Was hat dich damals dazu bewogen?

Ich wollte nach dem Abitur nicht direkt studieren und habe das FSJ Kultur als Chance gesehen, mich auszuprobieren und eventuelle Studienfächer genauer kennenzulernen. Auf das Bauhaus bin ich schon während der Schulzeit gestoßen. In einer »Jahresarbeit« habe ich mich sehr intensiv mit dem Bauhaus auseinandergesetzt. Ich war in Dessau, Stuttgart und Köln unterwegs und habe mir einen sehr guten Überblick über die Kunsthochschulen machen können. Als ich dann gesehen habe, dass es die Möglichkeit gibt, sich auf ein FSJ Kultur bei der Stiftung Bauhaus Dessau zu bewerben und somit auch täglich im Bauhaus-Gebäude unterwegs sein zu können, musste ich einfach einen Bewerbungsversuch wagen.

Wie war es, täglich durch die geschichtsträchtigen Gänge der einstigen Lehreinrichtung zu schreiten? Was hat dich am meisten fasziniert? 

Am Anfang war es unglaublich. Ich war fasziniert von den vielen kleinen und feinen Details, die sich Gropius hat einfallen lassen, um das Gebäude modern und schlicht zu halten. Selbstverständlich wurde das Gebäude ab einer bestimmten Zeit zu meinem Alltag und ich habe mich an Tourist*innen-Gruppen, die durch das Haus laufen und in Büros hineinschauen, gewöhnt. Das ist an der Bauhaus-Universität in Weimar nicht unbedingt anders. Dennoch war es für mich ein sehr großes Vergnügen, die durchdachte Gestaltung jeden Tag sehen und benutzen zu können. Eine Sache die mir anfangs tatsächlich schwer fiel, war die Orientierung im Gebäude. Das Bauhaus-Gebäude in Dessau ist ein Kubus, der aus L-förmigen Gebäudeteilen zusammengesetzt ist, die miteinander verbunden sind. Zu Anfang war es schwierig, die einzelnen Gebäudeteile zu unterscheiden. Aber Gropius – beziehungsweise die Werkstatt für Wandmalerei – hatte sich damals sehr genau überlegt, welche Farbe in welchem Teil des Gebäudes verwendet werden soll, um den Menschen Orientierung zu geben. Daran sieht man, wie ich finde gut, dass es am Bauhaus stets um Funktionalität in Verbindung mit einem sehr hohen ästhetischen Anspruch ging.

Ich muss sagen, was mich am meisten fasziniert hat, waren im Arbeitsalltag vor allem die Transparenz und die vielseitigen räumlichen Situationen, sich begegnen zu können. Die Treppen im Bauhaus-Gebäude sind sehr breit und ermöglichen, dass man schnell Kolleg*innen antreffen kann und sie vermitteln ein Gefühl der räumlichen Großzügigkeit. Die großen Glasfassaden in den Treppenhäusern sorgen für Helligkeit und für einen ständigen Blick nach außen und umgekehrt. Außerdem fällt mir immer wieder die Zeitlosigkeit des Bauhaus-Gebäudes auf. Ich kenne wenige Gebäude, die das so einprägsam nach außen tragen können. 

Bauhaus Weimar

Nach deinem FSJ bist du – anders als der Bauhausdirektor Walter Gropius und seine Studierenden, die 1925 von Weimar nach Dessau gingen – an die Bauhaus-Universität nach Weimar gegangen, um dort Urbanistik zu studieren. Wie ist das für dich?

Das bedeutet zunächst einmal für mich, dass das Studium nicht, wie damals in den 1920er Jahren, aufgebaut ist – auch das Architektur-Studium nicht. Es gibt allerdings ähnlich wie am historischen Bauhaus einige Lehrveranstaltungen, die interdisziplinär aufgebaut sind. So haben wir ein Semester, in welchem wir mit den Architekturstudierenden einen städtebaulichen Entwurf zusammen erarbeiten. In diesem Jahr gibt es das sogenannte »Bauhaus-Semester«. Hier werden Lehrveranstaltungen angeboten, die explizit fakultätsübergreifend angenommen werden sollen. Das finde ich eine gute Idee, auch wenn ich der Meinung bin, dass es eine solche Möglichkeit des interdisziplinären Studierens dauerhaft und an jeder Universität geben sollte. 

Was das Erbe des Bauhauses angeht, fällt mir auf, dass »das Bauhaus« hier in Weimar ein anderes ist als das in Dessau. In Weimar sehe ich, wie schon erwähnt, zwar auch die Tourist*innen-Gruppen im Hauptgebäude in Arbeitsräume hineinschauen und staunen. Dennoch geht es der Stadt hier mehr um die Betonung den Gründungsaspekt des Bauhauses. In Dessau steht, meiner Meinung nach, deutlich stärker im Fokus, was das Bauhaus als Schule hervorgebracht hat.

Das proklamierte Motto direkt auf der Startseite der Universität-Internetseite ist »Beobachten, Verstehen, Gestalten, 100«. Ein Leitsatz, der damals – 1919 – genauso aktuell ist wie heute. Wie wirkt sich das auf dein Studium, deine Sichtweise und dein Wirken vor Ort aus? 

Dieser Leitsatz spielt vor allem darauf an, dass das Bauhaus damals eine sehr präzise gesellschaftliche Analyse vorgenommen hat. Es ging darum, sich von alten Prinzipien zu lösen und gleichzeitig genau zu verstehen, was die Gesellschaft der 1920er Jahre ausmachte, um daraus neue und alternative Ideen und Konzepte zu formulieren. Der Leitsatz lässt sich eins zu eins auf mein Studium übertragen. Urbanistik ist ein Fachgebiet, das sich mit der Stadt in all ihrer Vielschichtigkeit auseinandersetzt und gesellschaftliche sowie politische Transformationsprozesse genau beobachtet. In der Stadtplanung und der Raumplanung geht es immer darum, ein konkretes Problem zu erkennen, nachzuvollziehen wie es entstanden ist und am Ende Ideen, Konzepte und Vorschläge vorzustellen, die das Problem angehen, aber auch Vorstellungen zu entwickeln, wie die städtische und die ländliche Bevölkerung in Zukunft aussehen und welche Bedürfnisse eine Gesellschaft in Zukunft haben wird. 

Die ursprüngliche Idee von Gropius und van de Velde war, die Kunst von der Industrialisierung zu emanzipieren und das Kunsthandwerk wiederzubeleben. Der Begriff Kunst bezeichnete hierbei vor allem die Formensprache. Anders als in Weimar zwischen 1919 und 1925 stand in den darauf folgenden Jahren 1925 bis 1932 in Dessau vor allem die serielle Produktion im Vordergrund. Sind die unterschiedlichen Herangehensweisen auch heute noch – 100 Jahre später – noch spürbar? 

Die Relevanz dieser Ideen lässt sich nicht abstreiten. Heute stellt sich für mich die Frage, welche Rolle Kunst und Handwerk eigentlich in einer Gesellschaft einnehmen, in der Technisierung und Digitalisierung an Bedeutung gewinnen und wie wir den Wandel der Arbeitswelt verstehen und gestalten können. Es geht heute meiner Meinung nach darum, sich Gedanken zu machen, wie mit dem Wandel umgegangen werden kann und wie wir vor dem Hintergrund einer digitalisierten Welt zum Beispiel den Wert von Handwerk erhalten können, 

Bei dem Stichwort »serielle Produktion« fällt mir die Siedlung Dessau-Törten ein. Sie wurde von Gropius entworfen und war für Arbeiter*innen gedacht. Innerhalb von zwei Jahren wurden 314 Häuser errichtet, unfassbar schnell! Die serielle Produktion von Wohnraum war eine Antwort auf den Wohnungsmangel, die in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg wieder aufgegriffen wurde. Die Art und Weise wie die Siedlung also gebaut wurde, hat nichts an Relevanz verloren. Meiner Ansicht nach können wir für die in vielen Städten herrschende Wohnungskrise Schlüsse ableiten, die vor 100 Jahren schon erdacht wurden. Heute erscheint es wichtiger denn je, über die kostengünstige Errichtung von Wohnraum nachzudenken. Das serielle Bauen liefert einen Ansatz. Das Bauhaus hat es also auf vorbildliche Weise geschafft, alternative und radikale Ideen zu entwickeln, die es heute angesichts von knapper werdendem, bezahlbaren Wohnraum auf jeden Fall (wieder) braucht. 

Und was ist nach über 100 Jahren überhaupt noch vom einstigen Bauhaus-Gedanken übrig geblieben?

Da wäre zum einen das fächerübergreifende Studium, das ich bereits erwähnte. Das Bauhaus hat deutlich gemacht, dass für die Gesellschaft und die Gestaltung das Zusammenarbeiten fachfremder Gruppen wichtig ist und dass dabei verschiedenartige Ideen entstehen, die lange fortwähren. Zum anderen ist es auch der gesamtgesellschaftliche Ansatz des Bauhauses, den ich nach wie vor für sehr relevant halte. Walter Gropius hatte unter anderem das Ziel, die industrielle Produktion zu nutzen, um Menschen mit geringeren finanziellen Mitteln ein Leben mit qualitativ hochwertigen und ansprechenden Möbeln zu ermöglichen. Ich bin der Ansicht, dass sich dieser Gedanke heute in Gestaltung und dem Wohnen wiederfinden muss. Des Weiteren sind die Gestaltungsprinzipien, zum Beispiel dass die Funktion maßgeblich für die Gestaltung sein soll, entwickelt worden, um sich von einer Hülle historischer Überbleibsel zu lösen. Neben den gestaltungstheoretischen Grundlagen hat das Bauhaus einen reformerischen und utopischen Willen bewiesen, der uns heute vielleicht sogar droht, abhanden zu kommen.

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