KUNST/MITTE Notes

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Komm, »wir machen nach Halle«

11.01.2019, Kirsten Mengewein

Das sagten sich Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks 1925, als das Bauhaus Weimar verlässt und nach Dessau geht. Die beiden Kunstschaffenden schließen sich dem damaligen neu propagierten Kurs der Einheit von Kunst und Technik Gropius nicht an, sondern versuchen ihr Glück in Halle. Und es sollte ihre intensivste Schaffensphase werden. Friedlaender übernimmt die Leitung der Töpferei und Marcks arbeitet als freier Bildhauer—beide an der Burg Giebichenstein. 

Auch ich mache mich auf nach Halle und trotze dem Schneeregen Anfang Januar. Das nächste Café zum Aufwärmen ist nicht weit und zur Not stelle ich mich beim Atelierbesuch ganz nah an den Kohleofen. Und außerdem, »wer friert ist selbst schuld«.  Das sagt zumindest Oma. Und Omas müssen es ja wissen, oder?

So besuchen ich zunächst—über die Giebichsteinbrücke vom städtischen Halle ins ländliche Kröllwitz fahrend—die Marcks-Großplastiken Pferd und Kuh an den Brückenpfeilern verkünden es: Die Kunsthalle des Kunstvereins Talstraße.

Die Ausstellung um die beiden ehemaligen Bauhäuslerinnen Friedaender und Marcks, welche noch bis 24.02.2019 in der Talstraße zu besichtigen ist, begrüßt mich im Bauhaus-Jahr und in Halle (oder sollten ich eher Kröllwitz sagen?). Während ich vor der berühmten Vase Friedaenders stehen mir ihrer perfekten Wölbung im feinsten, weißen Porzellan, stelle ich fest, dass die Form der Funktion dient. Und frage mich heimlich, ob—wenn Friedlaender heute als Keramikerin arbeiten würde, vielleicht für IKEA gearbeitet hätte und zu Porzellan für jedermensch zugänglich machen würde, so wie sie damals für KPM Berlin zeitloses Keramik-Geschirr geschaffen hat. 

Auf dem Flyer zur Ausstellung balanciert die »Thüringer Venus« des Bildhauers Marcks die Vase der ersten Porzellankeramikerin. Doch eigentlich hält die Skulptur, geschaffen im Jahr 1930 einen Apfel in dieser Hand, während sie mit der anderen Hand gedankenverlorenen mit einer der eigenen Haarsträhnen spielt. Die Venus ist nicht universell schön, sondern bezaubert durch ihre individuelle Schönheit. Denn genau diese interessiert Marcks bei all seinen Skulpturen und Plastiken. Und dafür beobachtet er genau, fertigt vielfältige Skizzen an, anhand derer er die dreidimensionalen Formen schafft. Der Künstler selbst sagt hierzu: »Ich bereite meine Plastiken zeichnerisch vor.« Und das kann ich sehen und spüren, wenn ich die Skulptur und neben hängende Zeichnungen miteinander in Verbindung bringe. 

Zwei Zimmer, Küche, Bar. Pause. Vor mir dampft zart ein Hauch meines Ingwer-Tees auf. Ich schau nach draußen. Es regnet. Noch ein Grad kälter und der Regen wird zu Schneekristallen. Drinnen starren die Menschen auf ihre Smartphones. Ich nehme mir meinen blauen Buntstift und kritzle etwas in mein Skizzenbuch. 

Dann mache ich mich wieder auf den Weg, verliere mich im Straßengewirr und finde ich mich schließlich im Atelier von Luise von Rhoden wieder. »Manchmal fehlt nur ein Fehler zur Perfektion.« Durch Einschränkung, Vereinfachung und eine sehr strenge Rahmensetzung schafft die Künstlerin in sich geschlossene Systeme, die einem bestimmtem Rhythmus folgen. Je länger ich ihre Tuschzeichnungen allerdings betrachte, desto mehr fällt mir die Varianz im Kleinen auf, die Bewegung, das Zusammenspiel zwischen Form, Pinselführung und Farbauftrag. 

Im Gespräch verrät sie, dass durch Abgucken, Kopieren, Variieren, das Finden von Verwandtschaften zum eigenen Schaffen führt. Die Motivation für die Arbeit muss dabei von innen kommen. Denn niemand sagt dir in der Kunst, was du machen sollst. 

Das bringt mich wieder zu Marguerite Friedlaender und Gerhard Marcks. Auch die beiden haben genau beobachtet, variiert und somit zum individuellen und gleichzeitig zur universellen Schönheit gefunden. Die Tuschzeichnungen von von Rhoden sind zart, wie die Teetasse von Marguerite Friedlaender. Säuselnde Wellen, wogende Linien, die Rundung der Vase, der Oberschenkel der Venus. Schlichtheit. Vereinfachung. 

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